"You are amazing!"

- der Doktor über das Potenzial des Menschen

oder: die Liebeserklärung eines Nichtbriten an die britische Fernsehinstitution DOCTOR WHO

Seit 1963 läuft er auf britischen Fernsehschirmen, in Audiobüchern, Büchern und Comics zur Höchstform auf – ein äußerlich nicht von einem Menschen unterscheidbarer zeitreisender Außerirdischer vom Planeten Gallifrey. Das war die Heimat der Time Lords, der ältesten Zivilisation des Universums. Sie sind schon lange untergegangen, gemeinsam mit ihren größten Gegnern, den mörderischen Daleks – oder so scheint es. Der Untergang beider Völker lastet schwer auf dem Gewissen des letzten Time Lords, der seitdem mit seiner Zeitmaschine, einem TARDIS Modell 40TT, durch Zeit und Raum reist, Zivilisationen rettet und das Beste aus seinen Weggefährten herausholt, den Companions.

Da sich die Serie als langlebiger erwies als die Verträge des jeweiligen Hauptdarstellers (um einen komplexen Entscheidungsprozess mal radikal zu simplifizieren), wurde in die Story hineingeschrieben, dass sich ein Time Lord (wie unser Doktor) regeneriert, sobald ihn tödlicher Schaden überwältigt oder Verjüngungsbedarf besteht oder man es ihm einfach aufzwingt. Er erwacht zu einer neuen Gestalt, die über alle seine Erinnerungen verfügt, über deren Aussehen und Temperament er jedoch keinerlei Kontrolle ausübt. Das wurde als die legendäre Regeneration der Time Lords ins Serienuniversum integriert. Und so erleben wir heute, gespielt von Matt Smith, schon den elften Doktor auf dem Bildschirm.

Was in deutschen Landen schwer vorstellbar wäre: dieses samstagabends ausgestrahlte Science-Fiction-Programm für die ganze Familie wurde eine nationale Institution. Zeitungen – zumindest boulevardeske – bringen Neuigkeiten von der Produktion ganz weit vorne. Schauspieler treten im Fernsehen auf. Allerlei Promis sind sich nicht zu schade für Gastrollen – als Beispiele seien nur erwähnt: Derek Jacobi als Professor Yana, Kylie Minogue als Astrid Peth oder Timothy Dalton als Rassilon. Gastauftritte, die mehr den Insider hellhörig machen, waren zum Beispiel die kurzzeitige "Bionic Woman" Michelle Ryan als Lady Christina de Souza, James Marsters (Spike aus "Buffy") als Captain John Hart im Spinoff "Torchwood" oder Anthony Stewart Head (Rupert Giles aus "Buffy") als außerirdischer Schuldirektor in der Doctor-Who-Episode "School Reunion".

Wenn sich Doctor Who vom amerikanischen SF-Serien-Mainstream abhebt, dann ganz besonders durch den nichtmilitärischen Zuschnitt. Der Doktor ist Pazifist. Bittere Notwendigkeiten haben ihn hier und da bewegt, sich die Hände schmutzig zu machen, aber glücklich ist er darüber nicht. Er verabscheut das Torchwood-Institut und hat ein distanziertes Verhältnis zu UNIT, beides Institutionen des Serienuniversums, bei denen Gewalt als Lösungsmethode für außerirdische Probleme relativ schnell auf der Tagesordnung steht.

Es ist jedoch nicht nur die Vorliebe des Doktors für gewaltfreie Lösungen, die diese Serie auszeichnet. Den Doktor begleiten ganz normale Menschen auf seinen Abenteuern in Zeit und Raum, Charaktere, die für den Zuschauer perspektivgebend sind. Diese normalen Alltagsmenschen lernen durch ihre Reisen mit dem Doktor, was der Mensch an Erstaunlichem zu leisten vermag und welches Potenzial in uns schlummert. Und so ahnen wir Erdlinge im Serienuniversum gar nicht, wie oft uns ein Dienstmädchen des neunzehnten Jahrhunderts oder eine Klamottenverkäuferin des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts und ganz besonders eine Medizinstudentin (später Ärztin bei UNIT) schon den kollektiven Hintern gerettet hat. Und wenn das noch nicht reicht, dann hilft auch schon mal eine Sekretärin auf Zeitarbeit dem Doktor dabei, zum Beispiel eine ganze außerirdische Lebensform aus der Sklaverei zu befreien oder den Untergang der Erde abzuwenden.

Es sind also die Drehbücher, die Storys, die Abenteuer selbst, die sich vom sonst so verbreiteten Science-Fiction-Militarismus abheben und das Genre mit Schwung in die Welt des Wunderbaren und Erstaunlichen zurückführen. Und dies geschieht mit einer Mischung aus Witz und Dramatik, die wohl nicht jedermanns Sache ist und der englischsprachigen Welt interessanterweise so viel leichter fällt als der deutschsprachigen – sowohl auf der Produzenten- als auch der Konsumentenseite. Ähnlich gelungen fand ich den Spagat zwischem dem Grotesken und dem Grauenhaften, dem launigen Scherz und echter Dramatik bislang nur in einer anderen Serie, Joss Whedons "Buffy the Vampire Slayer".

Die Eskapaden des Doktors sind ein Spaß für alle Generationen, oder wie es auf der Box des Rollenspiels zur Serie so treffend heißt: für jeden zwischen 10 und 900+. Sense of Wonder wird hier großgeschrieben. Wir wandern über Eisplaneten oder stapfen durch glutheiße Wüsten. Wir begegnen mal Shakespeare, mal Charles Dickens, mal Agatha Christie; wir erleben mal den Untergang Pompejis, mal die Fernsehkultur des Jahres 200.100, mal die Kultur des Verkehrsstaus in New New York auf dem Planeten New Earth im Jahr 5.000.000.053. Wir lernen Wunder kennen wie eine planetengroße Bibliothek, den Skorpionnebel oder die Medusa-Kaskade, lebendige Sterne oder die telepathischen Gesänge einer unverstandenen Lebensform. Wir erfahren, wie gefährlich "ektonische Strahlung" auf dem Planeten Midnight ist und wie das Leben doch immer einen Weg findet.

Die größten Wunder überhaupt: das Leben und das Universum. Der Doktor wird nie müde, sie zu bestaunen. Wir könnten uns inspirieren lassen.


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Nach »The Walking Dead«

Gedanken zum Zombie-Genre

oder: Warum George A. Romero, Paul W. S. Anderson, Robert Kirkman und Frank Darabont Schöpfer großer Kunst sind.


Die erste Staffel der TV-Serie »The Walking Dead«, inzwischen auf DVD in Deutschland erhältlich, hat mich zur eigenen Überraschung veranlasst, ein paar grundsätzliche Gedanken über das Genre der Zombie-Apokalypse, seine inhaltliche Signifikanz und seine dramaturgischen Strukturen anzustellen. Ein paar kurze Gedanken, wohlgemerkt.


Im Gegensatz zu anderen klassischen Horror-Kreaturen kann man den Zombie niemals auch nur entfernt als Charakter einstufen. Somit ist der Zombie kein klassischer Antagonist wie der Vampir oder der Werwolf (oder wie diese zunehmend ein »dunkler Protagonist«), sondern einfach ein Resonanzboden für das menschliche Drama der eigentlichen Charaktere in Zombie-Geschichten: der Überlebenden. Protagonisten und Antagonisten, Helden und Schurken der Handlung findet man beide in den Reihen der Überlebenden.


Seine Funktion als Resonanzboden erfüllt der Zombie auf zweierlei Weise: Zunächst ist er die nackte Verkörperung des findamentalsten Verlustes, den ein menschliches Wesen erleiden kann; hier umgeht das Zombie-Genre geschickt die religiösen Vorstellungen, die sich um den Tod ranken, und geht auf den Kern der Verlustangst los, der Angst vor dem Verlust der Identität, ungeachtet der Frage, ob der Körper beerdigt wird oder weiter herumtappt. Anders als die religiös gemilderte Angst vor dem Tod konfrontiert uns das Zombie-Genre mit dem tiefsten Verlust, den die menschliche Persönlichkeit erleiden kann: dem Verlust ihrer selbst.


Überträger dieser gegen die Überlebenden gerichteten Bedrohung - »ihr werdet sein wie wir« - ist der infektiöse Angriff. Wer durch einen Zombie eine blutige Verletzung erleidet, wird selbst zum Zombie. Die Übergangsphase ist ein Brennpunkt des Überlebenden-Dramas, in dem moralische Erwägungen bis zum Äußersten belastet werden: Wie geht man mit dem anderen Überlebenden, also dem Mitmenschen um, dessen Übergang in den Persönlichkeitsverlust nicht mehr aufzuhalten ist? Kaum vorstellbar, ethische Werte im Ringen mit der eigenen Angst auf eine noch härtere Probe zu stellen. Mit kaum einem anderen fiktionalen Motiv lässt sich der Konflikt zwischen Moral und Überleben härter zuspitzen. Aber auch hier gilt: Der angehende Zombie ist kein Gegenspieler, kein Schurke. Im Gegenteil, er ist ein leidender Charakter an der Schwelle, zu einer jenseits allen Moralischen agierenden Urgewalt der Zerstörung alles Menschlichen zu werden.


Der Zombie ist ein amoralischer Einebner sogar der Unterschiede zwischen den Helden und den Schurken der Erzählung.


Das bringt uns auf einen weiteren, dramaturgisch tragenden Aspekt des Zombies: die Unaufhaltsamkeit, die Unerbittlichkeit. Der Zombie bleibt nicht stehen und zögert nicht. Er schert sich nicht um Voll- oder Neumond; er schert sich nicht um Tag noch Nacht; weder schläft noch zögert er. Er ist (zumeist) langsam, aber er ermüdet nicht. Er ist immun gegen jeden Versuch eines Gesprächs, einer Verhandlung. Vielleicht kann man mit einem Vampir reden; er mag gebildet sein, wesentlich gebildeter gar als jeder sterbliche Protagonist. Der Werwolf hat ebenfalls seine Zeit als normaler Mitbürger. Der Zombie hingegen ruht weder bei Tag noch Nacht, lässt sich weder bedrohen noch einschüchtern noch überreden. Er reagiert in keiner Weise auf Aktionen der Überlebenden, unerschütterlich und unerbittlich in der Gefahr, die von ihm ausgeht, und verstärkt das Wechselspiel zwischen Protagonisten und Antagonisten wie ein Resonanzboden.


Filme:

Night of the Living Dead, 1968, Drehbuch und Regie: George A. Romero

Dawn of the Dead, 1978, Drehbuch und Regie: George A. Romero

Day of the Dead, 1985, Drehbuch und Regie: George A. Romero

Land of the Dead, 2005, Drehbuch und Regie: George A. Romero

Resident Evil, 2002, Drehbuch und Regie: Paul W. S. Anderson

Resident Evil: Apocalypse, 2004, Drehbuch: Paul W. S. Anderson, Regie: Alexander Witt

Resident Evil: Extinction, 2007, Drehbuch: Paul W. S. Anderson, Regie: Russell Mulcahy

Resident Evil: Afterlife, 2010, Drehbuch und Regie: Paul W. S. Anderson

28 Days Later, 2002, Drehbuch: Alex Garland, Regie: Danny Boyle

28 Weeks Later, 2007, Drehbuch: Rowan Joffe, Juan Carlos Fresnadillo, E. L. Lavigne, Jesus Olmo, Regie: Juan Carlos Fresnadillo


TV-Serie:

The Walking Dead, 1st Season, 2010, entwickelt von Frank Darabont nach den gleichnamigen Comics von Robert Kirkman